Detroit Downtown
Samstag, 23. Juli
Detroit selbst gilt allgemein nicht als die schönste Stadt und auch hört man hin und wieder das Klischee von Bandenkriminalität, wilden Schießereien und Raubüberfällen. Definitiv gibt es Wohnviertel, die man nachts besser meiden sollte – das dürfte aber auf so ziemlich jede große Stadt zutreffen, insbesondere in den USA. Was ich hier auch erst lernen musste, ist der große Unterschied zwischen der eigentlich Stadt und der dazugehörigen Metropolregion. Detroit als Stadt ist daher nur einer ganz kleiner Teil der Metro Detroit Area, 800.000 Einwohner im Vergleich zu 6 Millionen Einwohner. Und die Metro Area hat tatsächlich wesentlich mehr zu bieten als zum Bespiel die Metropolregion Chicago … es kommt also wie immer auf den Blickwinkel und darauf an, nicht jedes Vorurteil direkt zu glauben.
Denn tatsächlich hat sich Detroit im letzten Jahrzehnt sehr gewandelt, wie mir in kleiner Runde in einer der letzten Mittagspausen erzählt wurde. Neben einer tollen Bar- und Clubszene gibt es auch einiges an herausragender Kultur, so befindet sich eines der größten und bedeutendsten Kunstmuseen der USA in Detroit, das Detroit Institute of Arts, DIA.
Doch um diesen Teil der Stadt will ich mich heute gar nicht kümmern – dafür ist das Wetter viel zu schade! Mein heutiges Reiseziel ist die Downtown von Detroit – ganz dem Ziel folgend, mit den Vorurteilen aufzuräumen.

Bei meinem letzten Besuch im April, war die Stadt bei noch einisgen Minusgraden wie leergefegt und wirkte etwas gespenstisch. Da dies bei Temperaturen um die 35° sehr wahrscheinlich anders sein wird, schaue ich vorab schon einmal nach günstigen und trotzdem seriösen Parkhäusern. Fündig werde ich an der Riverfront, die Promeande am Detroit River. Bei der man einen wunderbaren Blick auf die bereits bekannte Belle Island hat.
Und da die schon bekannt ist, ist es auch der Weg in die Downtown, ich muss quasi diesmal nur vollständig der Interstate folgen, diese endet nämlich direkt dort wo ich hinmöchte, ins Herzen der Stadt. Hierfür benötigt man sogar noch nicht einmal eine Karte. Hier ragen die überdimensionierten vier Zylinder des GM Headquarters in die Höhe, die das Stadtbild von der Wasserseite so prägen.
Doch Vorsicht ist geboten – während man mit den Augen noch dem gigantischen General Motors Schriftzug, der vor dem Gebäude prangt, folgt, verzweigt sich die vormalige Interstate nämlich. Und wer sich jetzt nicht explizit rechts gehalten hat, bewegt sich unweigerlich auf den Detroit Windsor Tunnel zu – welcher einer der beiden Detroiter Grenzübergänge in Richtung Kanada darstellt.
Ich biege rechtzeitig ab und navigiere gekonnt zum ausgewählten Parkhaus. Dieses verwirrt mich jedoch direkt bei der Einfahrt – es gibt keinen Knopf für ein Parkticket … stattdessen nur ein Schlitz für eine Debit- oder Credit Card. Während ich also meine Karte einschieben, frage ich mich, wie ich denn jetzt die zu parkenden Stunden angeben soll – eine Tastatur gibt es nämlich nicht. Interessiert den Automaten an dieser Stelle aber auch gar nicht, mit dem typischen, völlig übersteuertem Soundeffekt werde ich dazu aufgefordert die Karte wieder zu entnehmen. Daraufhin öffnet sich prompt die Schranke und ich beschließe, mir die Gedanken über die weitere Bezahlung für später aufzuheben.
Vom Parkhaus sind es nur ein paar Schritte zum GM Renaissance Center, welches direkt an der Riverfront thront. Was ich hier schon merke, selbst mit dem 14mm Objektiv der Kamera bekomme ich die gigantischen Gebäude nicht im Ansatz eingefangen. Und so beschaue ich mir lieber die Promenade am Wasser, welche gut gefüllt mit Spaziergängern und sogar einigen Fahrradfahrern im Ausflugsmodus sind.
Doch auch auf dem Wasser ist einiges los, es versuchen sich mehrere große oder kleine Jungs mit ihren Jetskies gegenseitig zu übertrumpfen.
Flussabwärts entdecke ich an der Promenade die Detroit Pincess, das rustikal wirkende Bötchen mit „Krone“, was ich beim letzten mal schon von der Belle Island aus eingefangen habe – auf geht’s zur Inspektion aus der Nähe. Auf halbem Weg komme ich an einer großen Statue am Rande einer noch viel größeren Veranstaltungswiese vorbei. Während die Statue die Erbauer des Windsor-Tunnels darstellen (sie schauen und zeigen in Richtung Canada), zeigt sich heute anscheinend auf der Wiese einiges. Optisch wie akustisch lässt sich schnell feststellen, dass hier eine afroamerikanische Veranstaltung stattfindet – wie ich hinterher herausfinde, war es das The Wright’s 39th African World Festival.
Überall laufen Leute mit traditioneller, farbenfroher Tracht umher und es weht tatsächlich ein Hauch Afrika durch die Luft.

Von der Riverfront bewege ich mich nun in Richtung der Downtown und komme aus dem Stauen über die Hochhäuser nicht mehr heraus. Auch wenn Detroit relativ niedrige Häuser im Vergleich zu anderen Metropolen, so sind sie dennoch äußerst beeindruckend. Und wieder fällt es mir schwer, das ganze passend mit der Kamera festzuhalten.
Die altehrwürdigen Gebäude tragen bekannte Namen, Ford Building, Chrysler House. Auch wenn diese Konzerne schon lange nicht mehr an dieser Stelle residieren, so ist es doch eine einmaliges Bild, auf nicht einmal 500m Straße die alten Größen GM, Ford und Chrysler direkt nebeneinander anzutreffen.
Aus dem altehrwürdigen Büroviertel mache ich immer weiter rein ins moderne Detroit, dessen zentraler Punkt der Grand Circus Park ist. Hier befindet sich Oper, unzählige Musikkneipen und unglaublich schönes Ausblicke auf die bunten Fassaden der umliegenden Häuser. Unterbrochen wird der Blick nur sehr regelmäßig vom Detroit People Mover. Was wie ein schlechtes Wortspiel klingt ist tatsächlich die innerstädtische Hochbahn Detroits, die im Minutentakt im 3 Meilen-Loop verkehrt. Neben dem Mover gibt es tatsächlich nur noch die Q-Line, eine Straßenbahn die aber kaum bis in die Außenbezirke hinausfährt. Wie mir meine Arbeitskollegen verraten haben, ist Detroit aufgrund der Lobbyarbeit der ansässigen Automobilhersteller unfassbar schlecht aufgestellt im Bereich des öffentlichen Nahverkehrs und erst in den letzten Jahrzehnten hat hier ein Trendwende eingesetzt.
Vom neuen Opernhaus mache ich mich auf den Weg zum Fox-Theatre, ein altehrwürdiges Theater, welches auch heute noch den Charme der 50er oder 60er versprüht. Auch das The Fillmore stammt definitiv aus einer anderen Epoche. Definitiv neu und direkt gegenüber befindet sich das sportliche Zentrum der Stadt. Hier residieren sowohl das Ford-Field, das Football Stadium der Stadt, als auch der Comerica-Park, das Baseball-Stadium. Während das Ford-Field eine große Traglufthalle ist, die von außen wenig spektakulär ausschaut, thronen vom offenen Baseball-Stadium die Wahrzeichen der Detroit-Tigers … auf jeden Fall sehr imposant!
Zurück im Opernviertel versuche ich noch einmal die unzähligen bunten Fassaden einzufangen. Während ich gerade eine meiner üblichen Verrenkungen mache um irgendwie den besten Winkel hinzubekommen, spricht mich von irgendwo eine ziemlich Bass lastige Stimme an. Etwas irritiert stelle ich fest, dass dies von der hinter befindlichen Laderampe kommt. Dort lehnt der Prototyp eines Rockmusiker, mit schwarzer, lässiger Lederkleidung und raucht vor sich hin. Er stellt sich mir aus der Ferne prompt als David vor und beginnt, ohne das ich auch nur mehr als „hi“ gesagt habe, von den unzähligen Gebäuden um uns herum zu erzählen, gefolgt vom Status seines aktuellen Jobs – er ist zwar nicht direkt Musiker, aber Tontechniker für eine Rockband, die wohl in der Bar auftritt, an dessen Gebäude er sich lehnt.
Nachdem ich ihm seine Frage nach meiner Herkunft beantwortet habe, erfahre ich von ihm, dass er hier schon sehr viele Deutsche getroffen habe und gibt mir nun wertvolle Tipps, welche Gebäude ich noch am besten photographisch festhalten sollte. So langsam beginne ich tatsächlich all diesen offenen Gesprächen aus dem nix und die dazugehörige Geschichten dahinter zu mögen.
Nachdem das Gespräch genauso schnell wieder geendet, wie es begonnen hat, beschließe ich allmählich den Rückweg zum Parkhaus anzutreten, diesmal aber ein paar Blocks weiter nördlich, mit kleinen Schlenker am Starbucks vorbei. Der Weg führt mich zwar an einer Art Shoppingmeile vorbei, jedoch auch an einigen sehr schrägen Zeitgenossen, die aber unterm Strich nicht wirklich bedrohlich, sondern einfach nur seltsam sind.
Mit meinem kalten Eiskaffee geht es ins Parkhaus und ja, da war noch was – wie genau bezahle ich jetzt und komme wieder raus es dem Labyrinth … ? Leider ist auch gerade kein anderer in der Nähe, sodass ich beschließe, mich mal dumm zu stellen und einfach mal zur Schranke zu fahren. Irgendeinen Hilfeknopf wird es schon geben. Doch ich komme erst gar nicht dazu, einen Knopf drücken zu können – die Schranke geht nämlich einfach auf! Wie ich mir dann zusammenreime, wurde wohl das Kennzeichen beim Ein- und Ausfahren gescannt. Durch meine Karte, die ich ja beim Einfahren präsentieren musste, war hier also automatisch die Verbindung zwischen Fahrzeug und Zahlungsmittel hergestellt.
Fazit des Parkhauses: Richtig genial gelöst, wenn auch etwas verwirrend für einen Deutschen, der gewohnt ist, erst mit Bargeld am Parkautomaten zu bezahlen …
Fazit des Tages: Detroit ist viel schöner als alle sagen und braucht sich definitiv nicht zu verstecken! Auch wenn ich definitiv nicht alle Viertel ausprobieren möchte um allen Vorurteilen positiv entgegen treten zu können – ich denke, das verliere ich dann vielleicht doch.